Kapitel 46: Erfahrungen
Da Birgitte diese Woche ganz zu Hause geblieben ist, wurde ich wieder gebeten, ihren Unterricht zu übernehmen. Mir wird da schon ganz unwohl dabei, weil das nicht Teil von Comenius ist und mir es eigentlich auch nicht erlaubt ist. Nun ja, für den Montag konnte ich nichts mehr ändern, da ich bereits vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. So bin ich also montags in die 1. Klasse marschiert und habe den Kids mitgeteilt, dass sie heute nur mich hätten. Wir fangen an, ich stelle neue Bücher zur Verfügung und die Kinder lesen selbstständig entweder allein oder zu zweit. Klappt. Nach 15 Minuten ist die erste Konzentration aber natürlich vorüber und wir machen ein bisschen Gymnastik: auf der Stelle laufen, hüpfen, Arme kreisen, Hampelmann. Klappt. Dann wollte ich mit ihnen den neuen Text im Lesebuch lesen (fand ich nicht optimal, da vorher schon gelesen wurde, aber das wurde mir so aufgetragen). Klappt schon nicht mehr so gut. Und die Arbeit danach wird zur reinen Katastrophe. Die meisten passen nicht auf, sind laut, Emma und Darin streiten sich sogar und verlassen Tür schlagend das Klassenzimmer. Ich hinterher. Den Grund des Streits kann ich nicht verstehen, aber immerhin kann ich sie dazu bringen, sich wieder einigermaßen zu beruhigen. Auch wenn sie sich weigern, noch einmal nebeneinander zu sitzen. Alexander fällt währenddessen mal wieder ein, dass er doch auf seinen Stuhl steigen und Lärm machen könnte. An normalen Unterricht ist mittlerweile schon gar nicht mehr zu denken. Die Arbeitsblätter, für die ich morgens noch extra früh aufgestanden war, um sie anfertigen zu können, sind somit auch umsonst. Kurz nach 11 ist an der Schule für die Kleinen immer gemeinsame Essenspause im Klassenzimmer. Bis dahin konnte ich alle wieder halbwegs unter einen Hut bringen und ich kann zwei der Kinder losschicken, um das Essen für alle zu holen. Klappt wieder. Während die Kinder mit Kauen beschäftigt sind, ist es auch endlich wieder so ruhig (es lebe die gefräßige Stille!), dass wir eine Erzählrunde machen können. Vorher gibt es natürlich erst noch einen Streit über die Reihenfolge, den ich glücklicherweise noch rechtzeitig beseitigen kann. Danach ist es dann zum Glück auch schon bald Zeit zum Zusammenpacken und Aufräumen, da die Kinder um halb 12 nach Hause können. Ein Ausatmen meinerseits. Und innerlich schreie ich: bitte nie eine 1. Klasse, Hilfeee!! Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wieviele Nerven mich diese 60 Minuten gekostet haben.

Was das letzte Mal ganz gut geklappt hat, ist dieses Mal völlig daneben gegangen. Klar lernt man vor allem auch aus schlechten Erfahrungen, aber ich hatte wirklich keine Lust, das am nächsten Tag noch einmal wiederholen zu müssen. Deshalb habe ich im Sekretariat Bescheid gegeben, dass sie eine Vertretungslehrerin organisieren sollen, die – im Gegensatz zu mir – schließlich auch dafür bezahlt wird.

In der letzten Schulstunde sollte ich eigentlich eine Englischstunde in der 3a halten. Auch hierfür bin ich extra früh aufgestanden, um noch alle Materialien drucken, kopieren und ausschneiden zu können. Ich dachte mir, dass das eine wirklich gute Stunde zum Thema „Weather“ werden könnte. Doch falsch gedacht, denn es kommt gar nicht so weit! Als ich in das Klassenzimmer komme, steht eine Vertretungslehrerin vor mir, die mit einer anderen Aufgabe für die Klasse beauftragt wurde. Interessant… Und natürlich frustrierend, da ich umsonst mein halbes Wochenende für die Vorbereitung geopfert habe.

Am nächsten Schultag stand für mich wieder die Vertretung von Birgitte an. Doch dieses Mal in der 3b und nicht mehr in der 1. Klasse. Mir wird am Tag zuvor noch mitgeteilt, dass ich mit der Klasse in dieser Stunde zu einem Sportfest gehen soll, mir aber noch Näheres gesagt wird. Ihr könnt es euch denken: niemand hat mir Näheres gesagt. Nun ja, so hab ich mich dienstags einfach selbst durchgefragt und herausgefunden, dass das Sportfest erst um 10 beginnt und nicht um 9.10 Uhr, wie es mir zuerst gesagt wurde. Was also bedeutete, dass ich noch ca. 45 Minuten Unterricht mit der Klasse hatte. Wie jetzt?!

An diesem Tag habe ich wirklich gelernt, wie wichtig Spontaneität für einen Lehrer ist. Glücklicherweise hatte ich meine Materialien vom Vortag (die ich da ja nicht nutzen konnte!) in der Tasche. Ich habe mit der Frage „What is the weather like today?“ begonnen und dann meine Sonnenbrille hervorgezogen und aufgesetzt, da es „sunny“ war. Die Kinder fanden das ziemlich lustig, da es wahrscheinlich auch mal etwas anderes für sie war. Ich bin es aus Deutschland gewohnt einen interessanten Einstieg in den Unterricht finden zu müssen. In Dänemark lief das in der Schule bisher so ab: Schlagt eure Bücher auf Seite xy auf. Und das war’s dann.

Wie auch immer, nachdem ich die wichtigsten Wetterbegriffe mit Hilfe von Regenschirm, Mütze, Handschuhe und Co. eingeführt hatte, mussten die Kinder Bildkärtchen ziehen und den anderen sagen, wie „ihr“ Wetter ist. Danach gab es noch ein Bewegungsspiel, in dem Frage und Antwort (What is the weather like? – It is sunny/cloudy etc.“) geübt wurden. Es hat wirklich alles super geklappt und ich fühle mich um eine positive Unterrichtserfahrung bereichert. Ich muss aber auch dazu sagen, dass das wirklich eine sehr liebe Klasse ist. Aufmerksam, ruhig und arbeitet gut. So wünsche ich mir meine erste eigene Klasse in Deutschland!

Schließlich war es dann auch Zeit los zum Sportfest zu gehen. Die dritten, vierten und fünften Klassen haben dort ein Volleyballturnier veranstaltet wohingegen die älteren Jahrgangsstufen Fußball, Baseball und Rugby gespielt haben. Nachdem ich meine Klasse abgeliefert hatte, konnte ich mich überall ein bisschen umsehen und es war wirklich interessant. Vor allem Rugby habe ich an deutschen Schulen ja bisher noch nicht gesehen.

Da hatte ich dann auch noch einmal die Gelegenheit mit Peer zu sprechen, einem Pädagogen der in der 0. Klasse und der Nachmittagsbetreuung arbeitet. Er hatte mich vor einigen Wochen dazu eingeladen, mal bei ihnen vorbeizuschauen und das wollte ich unbedingt noch in Anspruch nehmen bevor ich gehen muss. Ich gehe diesen Freitag also ausnahmsweise mal in die Schule, um mit der 0. Klasse auf einen kleinen Ausflug zu gehen. Dazu dann bald mehr!

Am Montag war ich ehrlich gesagt ziemlich deprimiert, da der Tag so schlecht gelaufen ist. Ich war Dienstag deshalb wirklich froh, dass ich die Englischstunde halten konnte und somit auch ein Erfolgserlebnis hatte. Das hat mich wieder ein bisschen aus meinem kleinen Loch geholt, in das ich zwischenzeitlich mal gefallen war. Freitags mussten wir uns nämlich von Laura und Miguel verabschieden, die nun wieder zurück nach Mallorca mussten. Die beiden sind mir in den letzten Monaten wirklich ans Herz gewachsen und so ist natürlich die ein oder andere Träne geflossen. Am selben Tag musste ich dann auch noch Ute verabschieden, denn auch für sie ging die Comeniuszeit nun zu Ende. Drei Abschiede an einem Tag sind definitiv zu viel! Die Nächste auf der Liste bin dann übrigens auch schon ich. Aber ich bin froh über die Zeit, die wir gemeinsam verbringen konnten und es ist wunderbar, so viele neue und auch unterschiedliche Menschen kennengelernt zu haben. Das Bild hier haben wir noch extra zur Erinnerung geschossen, bevor Laura und Miguel gehen mussten:



Hintere Reihe: Frédéric, Benjamin, Damien, Christophe, Alexandre (alle aus Frankreich) und Anu (aus Sri Lanka)

Vordere Reihe: Stéphane (Frankreich), Miguel und Laura (Spanien), Andrea (Frankreich), Ich (wer es nicht eh schon geahnt hat: aus Deutschland) und Zsuzsanna (Ungarn).