Kapitel 12: Schulgeschichten
Nun habe ich meine zweite Woche in der Schule beendet und ich habe einen wichtigen ersten Eindruck erhalten. Wenn ich über diese zwei Wochen nachdenke, geht mir vieles durch den Kopf und ich möchte euch an dieser Stelle von ein paar Dingen berichten.
Erst einmal ist ja schon der Schulweg ein Abenteuer, da es in den letzten Tagen viel geschneit hat. Was die Dänen aber natürlich keineswegs daran hindert weiterhin das Fahrrad zu nutzen. Mich würde es hindern, aber ich habe keine Wahl. Um die Kurven fahre ich mit meinem Rad also nur in Schneckentempo, da andernfalls erstens das Rad unter mir wegrutschen würde (den Praxistest habe ich schon gemacht) und mir zweitens auch das ein oder andere Auto entgegen gerutscht kommt. Besonders schön ist es, wenn ein Laster mit einer riesigen Ladung Schnee auf dem Dach an dir vorbeirauscht und dabei eine ordentliche Ladung in deinem Gesicht hinterlässt.
Nun zu den eigentlichen Erlebnissen in der Schule, wobei ich mit den negativen anfangen möchte. Gestern hat Birgitte ihre 1. Klasse in zwei Hälften geteilt, wobei ich eine davon allein übernehmen sollte (was ich als Assistenzlehrerin eigentlich nicht darf!). Ich fand es dann auch schon etwas komisch, dass sie mir 16 Kinder zuteilte und selbst nur 6 bei sich behielt. Jedenfalls bin ich mit meiner Gruppe dann in einen Aufenthaltsraum gegangen und habe versucht mit ihnen zu lesen und eine Aufgabe zu bearbeiten. Die Betonung liegt hierbei auf „versucht“! Denn natürlich kam es wie es kommen musste: 10 der Kinder arbeiteten brav mit, die anderen hatten nach der Hälfte keine Lust mehr und wollten viel lieber wie wild umhertoben. Ich konnte sie auch nicht wieder zum Mitmachen bewegen, da es mir ja schon allein am Wortschatz mangelt. Also konnte ich nichts anderes tun als hilflos zuzusehen und nach kurzer Zeit abzubrechen und mit ihnen zurück ins Klassenzimmer zu gehen. Dieses Erlebnis hat mir erst einmal einen ordentlichen Dämpfer gegeben.
Im Gespräch mit den anderen Comenius-Assistenten ist mir aufgefallen, dass viele das Gefühl haben, die Schulen wüssten nicht, was sie eigentlich mit ihren Assistenten anfangen sollen. Das ist furchtbar, da sie sich schließlich extra dafür bewerben! Ich bin noch nicht lange genug hier, um sagen zu können, ob das bei meiner Schule auch der Fall ist. Allerdings hat es der Deutschlehrer nach zwei Wochen immer noch nicht geschafft, mit mir meinen zukünftigen Stundenplan zu besprechen. So weiß ich also auch jetzt noch nicht, wann ich mit dem Deutschunterricht beginnen kann. Birgitte allerdings macht ihren Job wirklich gut. Sie kümmert sich sehr, erklärt mir mit Freude alles und fragt mich nach meinen Vorschlägen und Ideen.
Deshalb möchte ich jetzt natürlich auch etwas zu den positiven Erfahrungen sagen. Ich gebe mir alle Mühe, mich in den Unterricht einzubringen und sowohl Lehrer als auch Schüler wissen das zu schätzen. Auch wenn ich nicht viel Dänisch kann, versuche ich den Kindern bei Aufgaben zu helfen, was meistens auch wirklich gut klappt. Am Dienstag übernehme ich spontan das erste Mal selbstständig einen Teil des Englischunterrichts in einer 3. Klasse und alles läuft wie es soll.
Am Mittwoch dann kümmere ich mich in der 1. Klasse um Darin und Sofie, die beide erhebliche Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben haben. Darins Konzentrationsfähigkeit geht gleich Null und sie verliert sehr schnell die Lust an Dingen, die sie nicht sofort versteht. Ich habe herausgefunden, dass es wesentlich besser funktioniert, wenn sie während der Arbeit direkt neben mir sitzen darf. Mir ist vorher schon aufgefallen, dass sie immer wieder sehr nahen Kontakt sucht (sie umarmt mich zur Begrüßung, nimmt meine Hand etc.) und anscheinend ist das der Schlüssel. Jedenfalls klappt es super und die beiden erledigen mit voller Konzentration und meiner Hilfe ein gesamtes Arbeitsblatt. Selbst Birgitte ist begeistert und ich bin sehr stolz auf die beiden Mädels.
Donnerstag bekomme ich wieder eine Gruppe von 10 Schülern und wir lesen gemeinsam (Dänisch lesen klappt mittlerweile schon ganz gut!). Dieses Mal klappt es wunderbar und ich werde für das schlechte Erlebnis am Vortag wieder ein bisschen entschädigt. Für die letzte Stunde ist donnerstags außerdem immer ein Besuch der Schulbibliothek vorgesehen. Als ich Astrid Lindgrens Pippi Langstrømpe zur Hand nehme und selbst ein bisschen schmökern möchte, klettern zwei Kids auf meinen Schoß und ruckzuck sind wir in die Geschichte vertieft. Ich lese vor, sie lesen mit und verbessern mich, wenn ich etwas falsch ausspreche. Wenn ich also auf diese Weise Dänisch lerne, habe ich auch nichts dagegen! Vor allem aber war ich positiv überrascht, dass es sich bei einem der Kinder um Darin handelte, die im Normalfall nicht so viel Interesse für Bücher zeigt. Was mir wiederum zeigt, dass man zu jedem Kind nur den richtigen Zugang finden muss.
Ihr seht also, dass ich bereits nach dieser kurzen Zeit schon ein paar wichtige Erfahrungen sammeln konnte. Egal ob sie nun gut oder nicht so gut gewesen sind, sie zeigen mir, dass noch kein Lehrer vom Himmel gefallen ist. Wie in allen Lebensbereichen gilt auch hier: üben, üben, üben!
Kleine Anmerkung zum Schluss: im Lesebuch der ersten Klasse kommen unter anderem folgende Wörter vor: Bier, Granate, Gewehr, Panzer, Soldat. Ääääh… Hallo?! Da kann man noch so sehr von der skandinavischen Schule schwärmen, DAS gäbe es in Deutschland definitiv nicht.
marilyn goger am 18. Januar 13
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